Der Bundesgerichtshof (BGH) entschied mit Urteil vom 08.07.2014 (Az.: II ZR 174/13), dass die Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft der Übernahme einer gegen ein Mitglied des Vorstands der Aktiengesellschaft verhängten Geldstrafe, Geldbuße oder Geldauflage durch die Gesellschaft zustimmen muss, wenn die mit der Geldstrafe, Geldbuße oder Geldauflage geahndete Handlung des Vorstandsmitglieds gleichzeitig eine Verletzung seiner Pflichten gegenüber der Aktiengesellschaft darstellt. Gegen Mitglieder des Vorstands einer Aktiengesellschaft wurde wegen Handlungen, die sie im Rahmen ihrer Tätigkeit für die Aktiengesellschaft vorgenommen hatten, ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. In Kenntnis dieses Verfahrens einigten sich die Aktiengesellschaft – vertreten durch den Aufsichtsrat – und eines der Vorstandsmitglieder auf die Aufhebung des Vorstands-Anstellungsvertrags. Dabei wurde vereinbart, dass die Gesellschaft Geldsanktionen, die in dem Ermittlungsverfahren gegen das Vorstandsmitglied verhängt würden, übernehmen werde, soweit dies rechtlich zulässig sei. Daraufhin gewährte die Gesellschaft dem Vorstandsmitglied ein Darlehen in Höhe von 50.000,00 €, mit dem dieses die ihm im Ermittlungsverfahren gemäß § 153a StPO auferlegte Geldauflage erfüllte. Die Gesellschaft hat in der Folgezeit das Darlehen gekündigt und auf Rückzahlung geklagt. Das beklagte Vorstandsmitglied wandte ein, dass ihm ein Anspruch auf Übernahme der Geldauflage zustehe, das Darlehen zu diesem Zwecke gewährt worden und daher nicht zurückzuzahlen sei. Die Klage der Aktiengesellschaft hatte zunächst Erfolg, in der Berufungsinstanz wurde sie abgewiesen, der BGH hingegen geht – wie die erste Instanz – von einem Rückzahlungsanspruch der Aktiengesellschaft aus und hob das Urteil des Berufungsgerichts auf. Nach Ansicht des BGH bestand kein Anspruch des Vorstandsmitglieds auf Übernahme der Geldauflage, da die Hauptversammlung der Übernahme gemäß § 93 Abs. 2 S. 3 AktG hätte zustimmen müssen. Danach kann eine Aktiengesellschaft erst dann auf einen Ersatzanspruch gegen ein Vorstandsmitglied aufgrund einer von diesem begangenen Pflichtverletzung verzichten oder darüber einen Vergleich abschließen, wenn seit der Entstehung des Anspruchs mindestens drei Jahre vergangen sind und die Hauptversammlung zugestimmt hat.
Nach Auffassung des BGH ist § 93 Abs. 2 S. 3 AktG auch im vorliegenden Fall anzuwenden, da die Übernahme der Geldsanktion eine dauerhafte Vermögenseinbuße und damit einen Schaden für die Gesellschaft darstellt. Ein solcher Schaden entfalle auch nicht dadurch, dass das Vorstandsmitglied gerade wegen der versprochenen Übernahme der Geldsanktion durch die Gesellschaft der Einstellung des Ermittlungsverfahrens zustimmt und damit ein langes Ermittlungsverfahren, das für die Gesellschaft mit negativer Berichterstattung verbunden sein kann, beendet wird. Zweck des § 93 Abs. 2 S. 3 AktG sei, das Gesellschaftervermögen und die Minderheitsaktionäre zu schützen. Die Entscheidung über das Gesellschaftsvermögen stehe den Aktionären und nicht dem Aufsichtsrat zu. Zudem bestünde bei einer Zuständigkeit des Aufsichtsrats die Gefahr einer kollegialen Verschonung. Schließlich habe der Aufsichtsrat möglicherweise ein Interesse daran, dass es aufgrund der Einstellung des Ermittlungsverfahrens nicht zu einer endgültigen Beurteilung des Fehlverhaltens des Vorstandsmitglieds und damit auch nicht zu einer Offenlegung etwaiger Verletzungen von Aufsichtspflichten des Aufsichtsrats selbst komme. Nur dann, wenn die mögliche Straftat nicht gleichzeitig eine Pflichtverletzung des Vorstandsmitglieds gegenüber der Aktiengesellschaft darstellt, könne der Aufsichtsrat selbst über die Übernahme der Geldsanktion entscheiden. Bei der meist schwierigen Frage, ob eine Pflichtverletzung des Vorstandsmitglieds vorliegt, habe der Aufsichtsrat jedoch keinen Ermessensspielraum. Liegt eine Pflichtverletzung vor und beschließt der Aufsichtsrat dennoch die Übernahme der Geldsanktion, so stelle dies einen Verstoß gegen § 93 Abs. 4 S. 3 AktG dar und führt zur Nichtigkeit dieser Vereinbarung.
Bewertung:
Der Entscheidung des BGH ist zuzustimmen. Sofern Pflichtverletzungen eines Vorstandsmitglieds gegenüber der Aktiengesellschaft im Raum stehen, ist zwingend § 93 Abs. 4 S. 3 AktG zu beachten, und der Aufsichtsrat kann über das Vermögen der Gesellschaft nur mit Zustimmung der Hauptversammlung wirksam disponieren. Für Aufsichtsräte ist bei derartigen Sachverhalten Vorsicht geboten, schon um sich nicht selbst einer Haftungsgefahr auszusetzen. Um eine solche zu vermeiden, sollten sie zunächst nur eine vorläufige Regelung treffen, die unter dem Vorbehalt steht, dass keine Pflichtverletzung gegenüber der Aktiengesellschaft gegeben ist. Zur Prüfung dieser Frage ist zur eigenen Enthaftung des Aufsichtsrats die Einholung professionellen Rechtsrats unerlässlich.
Dr. Werner Renaud, Achim Kinzelmann, Dr. Ulrich-Peter Kinzl, Dr. Lisa Ames, Daniela Rentz, Johannes Gugel, Aljoscha Schmidberger