Straftatbestand der Untreue ist kein Schutzgesetz zu Gunsten der Aktionäre

Mit Haftungsfragen befasst sich auch eine neuere Entscheidung des LG Wiesbaden vom 13.08.2015 (Az. 9 O 286/14). In dieser Entscheidung klagte ein Aktionär gegen eine Aktiengesellschaft auf Schadenersatz wegen erlittener Kursverluste mit der – sachlich zutreffenden – Begründung, dass der ehemalige Vorstand pflichtwidrig das Vermögen der Aktiengesellschaft für privat getätigte Geschäfte verwandt habe. Der ehemalige Vorstand habe sich damit nicht nur gegenüber der Aktiengesellschaft, sondern auch gegenüber den Aktionären gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266 StGB wegen Untreue strafbar und zivilrechtlich haftbar gemacht. Die Pflichtverletzungen des Vorstandes seien der Gesellschaft zurechenbar. Das Landgericht Wiesbaden wies die Klage – zu Recht – ab. Es entschied, dass der Straftatbestand der Untreue kein Schutzgesetz zu Gunsten der Aktionäre sei, ein Anspruch des Aktionärs gegenüber der Gesellschaft daher nicht bestehe. Geschützt würde durch den Straftatbestand der Untreue nur die Gesellschaft, da Aufgabe des Vorstandes (nur) die Wahrung der Vermögensinteressen der Gesellschaft, nicht die Wahrung der Vermögensinteressen einzelner Aktionäre sei.

Hinweis für die Praxis:
Diese auf den ersten Blick nur die Haftung der Gesellschaft betreffende landgerichtliche Entscheidung stellt, soweit ersichtlich, erstmals klar, dass der Straftatbestand der Untreue kein Schutzgesetz zu Gunsten einzelner Aktionäre ist. Daher können Aktionäre den Vorstand nicht wegen der Behauptung der Untreue auf Schadenersatz in Anspruch nehmen. Dies wurde im Schrifttum bislang teilweise anders gesehen.

Dr. Ulrich-Peter Kinzl, Dr. Lisa Ames, Daniela Rentz

Haftung des GmbH-Geschäftsführers für erkennbar pflichtwidrige Gehaltsauszahlung eines Mitgeschäftsführers an sich selbst

Mit dem Thema der Gesamtverantwortung befasst sich auch eine jüngere Entscheidung des Oberlandesgerichts München vom 22.10.2015 (Az. 23 U 4861/14). Gegenstand dieser Entscheidung war die Klage einer GmbH gegen zwei ehemalige (Fremd-) Geschäftsführer auf Rückzahlung rechtsgrundlos an sich gezahlter Vergütung.

Die ehemaligen Geschäftsführer, die Beklagten zu 1 und 2, zahlten an sich eine höhere Vergütung aus, als von der Gesellschaft geschuldet. Die Gesellschaft erteilte den Beklagten zu 1 und 2 in zwei Gesellschafterversammlungen nachfolgend Entlastung. Hierbei wurde sie von dem Beklagten zu 2, dem Vorstandsvorsitzenden der Alleingesellschafterin, vertreten. Dieser war nach der Satzung der Alleingesellschafterin zwar im Außen-, nicht aber Innenverhältnis berechtigt, die Alleingesellschafterin einzeln zu vertreten. Nachdem die anderen Vorstandsmitglieder der Alleingesellschafterin von den Zahlungen Kenntnis erlangt hatten, klagten sie im Namen der GmbH gegen die beiden Beklagten auf Rückzahlung der rechtsgrundlos erlangten Vergütung.

Das Landgericht gab der Klage statt und verurteilte die beiden Beklagten gesamtschuldnerisch zur Rückzahlung der rechtsgrundlos erlangten Vergütung. Die hiergegen gerichtete Berufung des Beklagten zu 1 hatte in vollem Umfang Erfolg. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts München wurde dem Beklagten zu 1 in den Gesellschafterversammlungen wirksam Entlastung erteilt. Durch die Entlastung ist die Gesellschaft nach allgemeinen Grundsätzen mit solchen Ansprüchen ausgeschlossen, die für die Gesellschafter in der Gesellschafterversammlung bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt erkennbar sind (ständige Rechtsprechung). Erkennbarkeit lag nach Auffassung des Oberlandesgerichts München vor, da der Beklagte zu 2 die Alleingesellschafterin bei der Fassung des Entlastungsbeschlusses im Außenverhältnis wirksam vertrat.

Die Berufung des Beklagten zu 2 wies das Oberlandesgericht dagegen weitestgehend zurück und hielt das landgerichtliche Urteil, das den Beklagten zu 2 verurteilte, die an ihn und den Beklagten zu 1 rechtsgrundlos gezahlte Vergütung zurückzuzahlen, aufrecht, da sich der Beklagte zu 2 nicht selbst wirksam Entlastung erteilen könne und – das ist entscheidend – nicht nur für die an ihn, sondern im Rahmen der Gesamtverantwortung der Geschäftsführung auch für die an den weiteren Geschäftsführer, den Beklagten zu 1, rechtsgrundlos und erkennbar pflichtwidrig gezahlte Vergütung hafte. Bei mehreren Geschäftsführern hafte jeder der Geschäftsführer auf Schadenersatz, wenn er einen für ihn erkennbaren Pflichtverstoß eines Mitgeschäftsführers nicht verhindere oder unterbinde.

Hinweis für die Praxis:
Die Entscheidung des OLG München zeigt zum einen, wie weitreichend die Folgen der Entlastung sind. Zum anderen zeigt sie, wie haftungsträchtig das Prinzip der Gesamtverantwortung ist. Gehaftet wird nicht nur für eigenes Fehlverhalten, sondern auch für das Fehlverhalten der Mitgeschäftsführer. Das gilt auch im Falle der Ressortaufteilung. Entscheidend ist aber, dass der Pflichtverstoß des Mitgeschäftsführers „erkennbar” sein muss. Die Beschränkung der ausufernden Haftung auf „erkennbare” Pflichtverstöße ist zu begrüßen.

Dr. Ulrich-Peter Kinzl, Dr. Lisa Ames, Daniela Rentz

Zuständigkeit des Aufsichtsrates für den Abschluss einer Vereinbarung mit einem Dritten über die Vergütung des Vorstandes

Das Thema Vorstands-Vergütung war wieder Gegenstand einer Entscheidung des BGH (Urteil vom 28.04.2015, Az. II ZR 63/14). Der BGH befasste sich mit der Frage, ob für den Vorstands-Anstellungsvertrag zwischen der Bestellungsgesellschaft und einem Dritten die übrigen Vorstandsmitglieder (nur diese hatten im Urteilsfall gehandelt) oder der Aufsichtsrat zuständig ist.

Der Entscheidung lag zusammengefasst der folgende Sachverhalt zugrunde: Der Beklagte war Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH, die für die Klägerin, eine Aktiengesellschaft, beratend tätig war. Später wurde der Beklagte zum Vorstandsmitglied der Klägerin bestellt. Ein Anstellungsvertrag wurde zwischen dem Beklagten und der Klägerin nicht geschlossen. Stattdessen erbrachte der Beklagte seine Vorstandstätigkeit auf Grund eines „Beratungsvertrages” zwischen der Klägerin und der GmbH. Dieser regelte die Einzelheiten der zu erbringenden Leistungen und die Vergütung. Der Beratervertrag wurde – die Rechtsberater der Klägerin kamen zu dem Ergebnis, dass der Beratervertrag nicht der Zustimmung des Aufsichtsrats unterliegt – zwischen der GmbH, vertreten durch den Beklagten, und der Klägerin, vertreten durch zwei andere Vorstandsmitglieder, abgeschlossen. Die Zustimmung des Aufsichtsrates wurde nicht eingeholt. Nach Vertragsschluss fasste der Vorstand den Beschluss, dem Beratervertrag zuzustimmen. Hierbei enthielt sich der Beklagte. Nachdem der Beklagte kurze Zeit später als Vorstandsmitglied abberufen wurde, klagte die Aktiengesellschaft auf Feststellung der Schadenersatzpflicht des Beklagten gemäß § 93 Abs. 2 AktG wegen des Abschlusses des Beratervertrages. Nach Auffassung der Klägerin hätte der Beklagte den Abschluss des Beratervertrages verhindern müssen. Landgericht und Oberlandesgericht gaben der Klage statt. Die dagegen gerichtete Revision des Beklagten führte zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.

Der BGH bejahte eine Pflichtverletzung des Beklagten, weil dieser im Rahmen der Gesamtverantwortung als Mitglied des Vorstandes darauf hätte hinwirken müssen, dass die anderen Vorstandsmitglieder ihre Pflichten – Einhaltung der Zuständigkeitsordnung – nicht verletzen. Dieser Pflicht sei der Beklagte nicht nachgekommen, da er den Abschluss des „Beratervertrages” nicht verhindert habe. Für den Abschluss des Beratervertrages und der darin enthaltenen Vergütungsregelung sei nach § 112 AktG der Aufsichtsrat, nicht der Vorstand, zuständig gewesen. Der Abschluss solcher Verträge falle dabei – das war entscheidungserheblich – nicht nur dann in die Zuständigkeit des Aufsichtsrates, wenn der Vertrag unmittelbar zwischen der Gesellschaft und dem Vorstandsmitglied, sondern auch dann, wenn der Vertrag mit einem Dritten (hier der GmbH) abgeschlossen werde. Gleichwohl verwies der BGH die Sache zurück, da die Feststellungen des Berufungsgerichts die Annahme des für eine Schadenersatzpflicht notwendigen Verschuldens nicht trugen.

Hinweis für die Praxis:
Die Entscheidung des BGH stellt (nochmals) klar, dass für den Abschluss von Abreden über die Vergütung von Vorstandsmitgliedern der Aufsichtsrat zuständig ist, und zwar unabhängig davon, ob der Vertrag mit dem Vorstandsmitglied selbst oder einem Dritten zustande kommt. Neu ist, dass der BGH in dieser Entscheidung die Drittanstellung von Vorstandsmitgliedern implizit für zulässig erklärt. Bislang bestanden Zweifel, ob solche – in der Praxis insbesondere bei Konzernstrukturen anzutreffende – Drittanstellungen von Vorstandsmitgliedern mit deren Unabhängigkeit vereinbar sind. Der damit verbundene Gewinn an Rechtssicherheit ist zu begrüßen.

Dr. Ulrich-Peter Kinzl, Dr. Lisa Ames, Daniela Rentz

Quotengesetz

Zum 01.05.2015 ist weiter das sogenannte Quotengesetz (Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern in Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst) in Kraft getreten (BGBl. I 2015, 642). Das Gesetz sieht zum einen für Unternehmen, die börsennotiert sind und einen paritätisch besetzten Aufsichtsrat haben (zum Beispiel nach dem Mitbestimmungsgesetz), eine starre Geschlechterquote von mindestens 30 % Frauen im Aufsichtsrat vor. Zum anderen – und das betrifft wesentlich mehr Unternehmen – müssen Unternehmen, die börsennotiert sind oder einem der Mitbestimmungsgesetze unterliegen, Zielgrößen für den Frauenanteil in der Geschäftsleitung (Vorstand und Geschäftsführung), im Aufsichtsrat und den obersten Führungsebenen des Unternehmens festlegen. Diese Pflicht war bis spätestens zum 30.09.2015 zu erfüllen. Da das Gesetz in seiner derzeitigen Fassung eine Mindest-Zielgröße aber (noch) nicht vorsieht, ließ sich im Einzelfall auch noch eine Zielquote von 0 % umsetzen.

Dr. Ulrich-Peter Kinzl, Dr. Lisa Ames, Daniela Rentz

Vorstands- und Aufsichtsratsvergütung

Von einer Verschärfung des Rechts der Vergütung von Aufsichtsräten und Vorständen sah der Gesetzgeber dagegen ab. Der im Gesetzgebungsverfahren eingebrachte Antrag, die Empfehlung in Ziffer 4.2.2 Abs. 2 Satz 3 Deutscher Corporate Governance Kodex (DCGK), wonach der Aufsichtsrat bei der Entscheidung über die Vorstandsvergütung auch (noch) ihr Verhältnis zur Vergütung des oberen Führungskreises und der Belegschaft insgesamt auch in der zeitlichen Entwicklung berücksichtigen soll, gesetzlich zu normieren, wurde nicht aufgenommen. Diese Empfehlung des DCGK bleibt vorerst „soft law”.

Weitere Regulierungen des Vergütungsrechts sind aber jetzt schon absehbar. Auf EU-Ebene wird derzeit die finale Fassung der Aktionärsrechterichtlinie verhandelt. Diese wird auch das Thema Organvergütung (insbesondere die Abstimmung der Aktionäre über die Vorstandsvergütung („Say-on-pay”)) regeln und bei der Vorstands-Vergütung zu einer erheblichen Kompetenzverschiebung vom Aufsichtsrat hin zur Hauptversammlung führen.

Dr. Ulrich-Peter Kinzl, Dr. Lisa Ames, Daniela Rentz

Berichtspflichten der von Gebietskörperschaften entsandten Aufsichtsratsmitglieder

Neu eingefügt wurde die Vorschrift des § 394 Satz 3 AktG, die die Berichtspflichten von Aufsichtsratsmitgliedern regelt, die auf Veranlassung einer Gebietskörperschaft in den Aufsichtsrat gewählt oder entsandt wurden. Sie soll klarstellen, wie die Berichtspflichten der Gebietskörperschaft mit der grundsätzlichen Verschwiegenheitspflicht eines Aufsichtsratsmitglieds nach § 116 Satz 1 i.V.m. § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG in Einklang zu bringen sind. Klargestellt wird, dass eine Berichtspflicht nicht nur auf gesetzlichen Vorgaben, sondern auch auf einer rechtsgeschäftlichen Vereinbarung beruhen kann.

Dr. Ulrich-Peter Kinzl, Dr. Lisa Ames, Daniela Rentz

Angaben zu Kandidaten für die Wahl im Aufsichtsrat

Dereguliert wurden weiter die Angaben zu den Kandidaten für die Wahl des Aufsichtsrates. Bisher war in der Bekanntmachung des Tagesordnungspunkts Aufsichtsratswahl stets anzugeben, ob die Hauptversammlung an Wahlvorschläge gebunden ist. Bestand eine solche Bindung, war eine Fehlanzeige erforderlich. Nunmehr besteht eine Angabepflicht nach § 124 Abs. 2 Satz 1 AktG neue Fassung nur noch für Gesellschaften, die dem Montan-Mitbestimmungsgesetz, unterliegen oder bei denen die Hauptversammlung an Wahlvorschläge der Arbeitnehmervertreter gebunden ist.

Dr. Ulrich-Peter Kinzl, Dr. Lisa Ames, Daniela Rentz

Zahl der Aufsichtsratsmitglieder

Dereguliert werden durch die Aktienrechtsnovelle 2016 die gesetzlichen Vorgaben zur Zahl der Aufsichtsratsmitglieder. Die Zahl der Aufsichtsratsmitglieder kann bei sogenannten kleinen Aktiengesellschaften nunmehr oberhalb der Mindestzahl von drei Aufsichtsratsmitgliedern frei festgelegt werden. Das bisherige Erfordernis der Teilbarkeit der Anzahl der Aufsichtsratsmitglieder durch drei gilt nach § 95 Abs. 1 Satz 3 AktG neue Fassung nur noch, wenn dies mitbestimmungsrechtlich erforderlich ist, also für Gesellschaften mit in der Regel mehr als 500 Arbeitnehmern. Für alle anderen Aktiengesellschaften sind jetzt zum Beispiel auch Aufsichtsräte mit vier, fünf oder sieben Mitgliedern zulässig.

Dr. Ulrich-Peter Kinzl, Dr. Lisa Ames, Daniela Rentz

Kostengünstigste Sanierungsmethode bestimmt Höhe des Schadens

Verlangt ein Auftraggeber Schadenersatz wegen Baumängeln, kann er nach der Entscheidung des OLG München (Az. 9 U 2777/11) vor der Durchführung einer Sanierung prozessual nur die Kosten der günstigeren Sanierungsmethode als Mindestschaden geltend machen. Dies allerdings nur, solange vom Gericht festgestellt wird, dass die günstigere Sanierungsmethode auch tatsächlich gleichwertig ist. Nach Auffassung des OLG München soll der Auftraggeber dennoch die Möglichkeit haben, sich im Anschluss nach pflichtgemäßem Ermessen für die teurere Sanierungsmethode zu entscheiden und die entsprechenden Mehrkosten in einem weiteren Verfahren beim Auftragnehmer einzuklagen.

Dr. Rainer Laux, Dr. Andreas Digel, Henrik Jacobsen