Keine Verpflichtung zur Ortsbesichtigung für Bieter auf eine öffentliche Ausschreibung

Ein öffentlicher Auftraggeber hat gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 1 VOB/A Leistungsbeschreibungen eindeutig und erschöpfend zu gestalten. Alle Bewerber sollen auf Grundlage der Ausschreibung ihre Preise sicher errechnen können. Dem Bieter dürfen keine umfangreichen Vorarbeiten abverlangt werden.

Das OLG Hamm stellte mit Urteil vom 14.10.2016 klar, dass aufgrund dieser Regelung der Bieter ohne vorherige Ortsbesichtigung in die Lage versetzt werden muss, ein umfassendes Angebot abzugeben. Der Ausschreibungstext muss ausreichend für die Angebotserstellung sein.

In dem Fall kalkulierte die Auftragnehmerin, die bei der Ertüchtigung einer Eisenbahnunterführung anfallende Suspension in Erdbecken in unmittelbarer Nähe der Baustelle aufzufangen. Nach Zuschlagserteilung stellte sie fest, dass der Platz für die Errichtung von Erdbecken nicht ausreichte und bot das Auffangen der Suspension auf andere Weise per Nachtrag an. Die Auftraggeberin wehrte sich mit dem Argument, in den Vergabeunterlagen habe sie klar vorgegeben, dass sich die Bieter über die Begebenheiten der späteren Baustelle vor Ort zu informieren hätten. Die Auftragnehmerin hätte deshalb wissen müssen, dass für Erdbecken kein Platz zur Verfügung stehen würde. Dem widerspricht das Gericht. Die Auftragnehmerin dürfe zwischen den verschiedenen Möglichkeiten des Auffangens der Suspension frei wählen, da sich aus der Ausschreibung nicht ergebe, dass die Möglichkeit der Errichtung eines Erdbeckens ausgeschlossen sei. Aufgrund des § 7 Abs. 1 VOB/A kommt es auf eine etwaige Verpflichtung zum Ortstermin nicht an.

Jula Zenetti, LL.M.

Einsichtnahme in Personalakten

Der Arbeitnehmer hat grundsätzlich das Recht, in die über ihn geführten Personalakten Einsicht zu nehmen und hierzu gegebenenfalls auch ein Mitglied des Betriebsrats hinzuzuziehen. Ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Einsichtnahme unter Hinzuziehung eines Rechtsanwalts besteht hingegen nicht. Zu diesem Ergebnis ist das Bundesarbeitsgericht in einem Urteil vom 12.07.2016 gelangt. Dies gelte jedenfalls dann, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer erlaubt, für sich Kopien seiner Personalakte zu fertigen.

Dr. Jörg Fecker, Dr. Thomas Glöckle, LL.M., Dr. Volker Nill, Dr. Betina Fecker, Dr. Susanne Jochheim, Nadine Crocoll

Keine Teilabnahme ohne ausdrückliche Vereinbarung

Verwendet der Architekt eine Klausel, wonach die Verjährung mit der Abnahme der letzten nach diesem Vertrag zu erbringenden Leistung beginnt, wobei die Leistungsphase 9 ausdrücklich ausgeschlossen sein soll, enthält diese Klausel keine Vereinbarung einer Teilabnahme der bis zur Leistungsphase 8 erbrachten Leistungen. Der BGH entschied (Az. VII ZR 168/15), dass eine entsprechende Klausel lediglich den Verjährungsbeginn regeln soll, nicht aber eine Teilabnahme nach Leistungsphase 8 eröffnet. Ist eine Teilabnahme gewollt, müssen die Parteien eine solche ausdrücklich vereinbaren. Die Entscheidung liegt auf Linie der bisherigen Rechtsprechung des BGH, wonach bei einer erst teilweise ausgeführten Leistung eine Abnahme durch konkludentes Verhalten regelmäßig nicht in Betracht kommt.

Dr. Andreas Digel, Henrik Jacobsen

Verstoß gegen EN-Norm begründet nicht zwingend Sachmangel

Auf Grundlage eines Vorabentscheidungsersuchens nach Art. 267 AEUV des Supreme Court of Ireland, befasste sich der EuGH mit der Frage, inwieweit die auf der Richtlinie 89/106 EWG beruhenden Harmonisierungsbestrebungen der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedsstaaten über Bauprodukte die Bewertung der Mangelhaftigkeit einer Werkleistung beeinflussen (Az. C-613/14). Der EuGH führte hierzu aus, dass die Richtlinie 89/106 lediglich den Zweck verfolgt, Handelshemmnisse zu beseitigen. Sie erfülle dagegen nicht die Aufgabe, die Bedingungen und Modalitäten der konkreten Nutzung von Bauprodukten bei ihrem Einbau in Bauwerke des Hoch- und Tiefbaus zu harmonisieren. Die nationalen Gerichte sind deshalb bei der Prüfung der Frage der Gebrauchstauglichkeit eines von der Richtlinie abweichenden Bauprodukts nicht an die Vorgaben der harmonisierten Richtlinie gebunden. Das Gericht darf vielmehr die Gebrauchstauglichkeit allein aufgrund des auf den Fall anzuwendenden nationalen Rechts bewerten.

Dr. Andreas Digel, Henrik Jacobsen

Klausel über Verjährungsbeginn nach Ingebrauchnahme unwirksam

Architekten und Ingenieure haben erhebliches Interesse daran, möglichst zügig nach Fertigstellung ihrer Arbeiten die Abnahme ihres Werks zu erreichen. Dieses Interesse verleitet manchen Planer, in den eigenen Vertrag Klauseln aufzunehmen, welche einen Verjährungsbeginn auch ohne ausdrückliche Abnahmeerklärung des Bestellers ermöglichen. Der BGH setzte sich jüngst mit der Wirksamkeit einer solchen Klausel auseinander (Az. IV ZR 168/15). Ein Ingenieur hatte in seinem Vertrag den Verjährungsbeginn auf den Zeitpunkt der Ingebrauchnahme des Gesamtobjekts festgelegt. Der BGH wertete die Verwendung dieser Klausel sowohl gegenüber Verbrauchern, als auch im unternehmerischen Geschäftsverkehr als unwirksam. Die Klausel hält der Inhaltskontrolle nicht stand, da sie den Verjährungsbeginn gegenüber dem vom Gesetz vorgesehenen Zeitpunkt des Beginns mit Abnahme vorverlegt. Die Verjährung beginnt somit erst mit der ausdrücklichen Abnahme des Werkes.

Dr. Andreas Digel, Henrik Jacobsen

Durchsetzung von Mangelansprüchen ist Sache des AG

Der mit Leistungsphase 8 oder 9 beauftragte Architekt bzw. Ingenieur hat Mängel in der Ausführung zu erkennen und ihre Beseitigung fachtechnisch zu begleiten. Die Durchsetzung der zugrunde liegenden Mängelansprüche des AG gehört dagegen nicht zu seinen Leistungspflichten. Er schuldet ohne vertragliche Vereinbarung nicht die Vorbereitung von rechtlichen Erklärungen des AG als Grundlage für Aufwendungs- oder Schadenersatzansprüche. Verlangt der AG dennoch die Vorbereitung solcher Schreiben, ist er hierauf hinzuweisen, verbunden mit der Empfehlung, sich rechtlich beraten zu lassen. Übernimmt der Architekt oder Ingenieur dennoch die rechtliche Durchsetzung von Mangelansprüchen gegenüber dem ausführenden Unternehmen, erbringt er Leistungen der Rechtsberatung, für deren Richtigkeit er dem Auftraggeber einzustehen hat. Dieses Risiko ist regelmäßig nicht vom Haftpflichtversicherungsvertrag des Planers gedeckt.

Dr. Andreas Digel, Henrik Jacobsen

Verjährung von Mängelansprüchen bei Stufenverträgen

Die Vergabe von Architekten- und Ingenieurleistungen in Stufen hat sich eingebürgert. Die Leistungen werden nicht in Gänze vergeben, sondern in Blöcken, in denen zumeist mehrere Leistungsphasen zusammengefasst werden. Mit Abschluss des Architekten- oder Ingenieurvertrages wird die erste Stufe beauftragt. Über die Folgestufen unterbreitet der Auftragnehmer ein Angebot zu den Bedingungen des Vertrages, das der Auftraggeber gesondert annehmen kann. Diese Konstruktion hat der BGH zum Anlass genommen, bei der Frage der Anwendbarkeit der jeweiligen HOAI-Fassung auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem die jeweilige Stufe beauftragt bzw. abgerufen wird. Es handele sich bei den jeweiligen Stufen rechtlich gesehen um eigenständige Verträge.

Folgerichtig hat nun das OLG Brandenburg (Az. 4 U 19/15) entschieden, dass auch die Verjährungsfrist für Mängelansprüche des Auftraggebers für jede Stufe getrennt zu betrachten ist. Daraus folgt, dass Ansprüche wegen Mängeln in der Planung, die mit der ersten Stufe beauftragt wurde, deutlich früher verjähren als Ansprüche wegen Mängeln aus den Folgestufen.

Voraussetzung hierfür ist aber, dass eine Abnahme der jeweiligen Leistungsstufe erfolgt. Dies kann ausdrücklich oder durch schlüssiges Verhalten des Auftraggebers erfolgen, z. B. durch den Ausgleich einer für die jeweilige Stufe ausgestellten Teilschlussrechnung.

Gegen die gesonderte Abnahmefähigkeit von einzelnen Stufen spricht allerdings die häufig anzutreffende Regelung in Verträgen, demzufolge die Leistungen aller Leistungsphasen (also stufenübergreifend) mit Abschluss von Leistungsphase 8 bzw. 9 abgenommen werden. Damit ist eine Abnahme einzelner Stufen vertraglich ausgeschlossen. Auf die Rechtsprechung des OLG Brandenburg wird sich mithin nur der Auftragnehmer berufen können, der einen Stufenvertrag ohne eine solche Regelung zur Abnahme abschließt.

Dr. Andreas Digel, Henrik Jacobsen

Vergabeverstöße sind sofort zu rügen

Häufig werden Vergaberechtsverstöße in der Bekanntmachung oder in den Vergabeunterlagen vom Bieter übergangen, weil sie sich Hoffnung auf den Zuschlag machen und mit einer Beanstandung ihre Chancen hierauf gefährdet sehen. Das ist riskant: In diese Spekulation ist nämlich das Risiko einzustellen, bei dennoch an einen Dritten erfolgtem Zuschlag mit einem Vergabenachprüfungsverfahren ausgeschlossen zu sein: So kann etwa ein Zuschlagskriterium der Wertungsmatrix im Nachprüfungsverfahren nicht mehr beanstandet werden, wenn im vorgeschalteten Teilnahmewettbewerb eine Frist zur Abgabe des Angebots abgegeben war und innerhalb dieser Frist keine Rüge des Wertungskriteriums erfolgte. Zweck der Rügeobliegenheit ist es, etwaige Vergaberechtsfehler im frühestmöglichen Stadium korrigieren und dadurch verhindern zu können, dass am Vergabeverfahren beteiligte Bieter erkannte und erkennbare Verstöße gegen das Vergaberecht sammeln und so lange mit einer Beanstandung warten, bis klar ist, dass ihre Spekulation, den Zuschlag zu erhalten, nicht aufgegangen ist. Erkennbar ist jeder Verstoß, der sich bei Beachtung der gebotenen Sorgfalt erschließt. Dabei ist nicht auf einen Vergaberechtsexperten, sondern auf den fachkundigen Bieter mit den üblichen Kenntnissen aus dem durch die spezielle Ausschreibung angesprochenen Bieterkreis abzustellen (VK Brandenburg – VK 20/15).

Dr. Andreas Digel, Henrik Jacobsen

Produktspezifische Ausschreibung nur ausnahmsweise zulässig

Dass die eben dargestellte Entscheidung des OLG Düsseldorf die Ausnahme und nicht die Regel ist, zeigt anschaulich ein aktueller Beschluss der Vergabekammer Baden-Württemberg (VK 18/16): Zu den grundlegenden vergaberechtlichen Grundsätzen gehört das Gebot der Gleichbehandlung. Hierunter fällt die Pflicht des öffentlichen Auftraggebers zur Produktneutralität. Er ist daran gehindert, Produkte eines bestimmten Herstellers nachzufragen, wenn es hierfür nicht zwingende Gründe gibt. Ein solcher zwingender Grund liegt nicht ohne Weiteres in einer angestrebten Vereinheitlichung der Technik mit der Folge, dass nur auf die Fabrikate eines Herstellers zurückgegriffen werden kann. Entscheidend ist, dass die Produkte von unterschiedlichen Herstellern zuverlässig miteinander kommunizieren können. Nur wenn dies wie in der o. g. Entscheidung des OLG Düsseldorf nicht der Fall ist, kann auf die Produkte eines Herstellers zurückgegriffen werden. Dies ist vom Auftraggeber detailliert zu begründen und in der Vergabeakte zu dokumentieren. Ein Grund für den Rückgriff auf das Produkt eines Herstellers kann in einem erhöhten Schulungsaufwand liegen. Auch dies ist aber in der Vergabeakte im Einzelnen darzulegen und zu begründen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass auch beim Einbau von neu entwickelten Produkten eines bereits bekannten Herstellers Schulungsaufwand entstehen kann, der im Einzelfall nicht geringer sein muss, als bei Einführung eines neuen Produkts eines anderen Herstellers.

Dr. Andreas Digel, Henrik Jacobsen

Produktbezogene Ausschreibung nur bei sachlichem Grund

Mit Beschluss vom 13.04.2016 (Verg 47/15) hat das OLG Düsseldorf entschieden, dass öffentliche Auftraggeber die Ausschreibung auf die Lieferungen der Produkte eines Herstellers beschränken dürfen, wenn die Beschränkung durch den Auftragsgegenstand sachlich gerechtfertigt ist und vom Auftraggeber dafür nachvollziehbare, objektive und auftragsbezogene Gründe angegeben werden. Dabei ist ferner zu berücksichtigen, dass die Produktauswahl frei von Willkür ist und die Bestimmung des konkreten Produkts andere Wirtschaftsteilnehmer nicht diskriminiert.

Der Entscheidung des Gerichts lag eine europaweite Ausschreibung zur Lieferung von Hard- und Software von sogenannten Voice over IP Telefonen eines bestimmten Herstellers sowie zugehöriger Instandhaltungs- und Softwarepflegeleistungen zugrunde. In der Leistungsbeschreibung waren seitens des Auftraggebers lediglich die Produkte mit den Artikelbezeichnungen eines Herstellers aufgeführt. Eine Bieterin, welche mit Konkurrenzprodukten der ausgeschriebenen Produkte arbeitet, sah hierin einen Verstoß gegen das Gebot der produktneutralen Ausschreibung und reichte einen Nachprüfungsantrag ein.

Das OLG Düsseldorf stellte indes klar, dass das Vergaberecht nur die Art und Weise der Beschaffung regelt, es aber keine Vorgaben macht, was zu beschaffen ist. Im konkreten Fall durfte die Antragsgegnerin ihre Produktbeschreibung zulässigerweise auf einen Hersteller beschränken, da sie bei der Verwendung anderer Produkte ihre einheitliche IT-Architektur hätte aufgeben müssen. Dies hätte nachweislich zu erheblichen Mehrkosten bei der Integration der Geräte sowie erhöhtem Schulungsaufwand geführt. Das Gericht wies die Beschwerde deshalb ab.

Dr. Andreas Digel, Henrik Jacobsen