Eine an der Schnittstelle von Gesellschafts- und Insolvenzrecht angesiedelte Frage war zuletzt Gegenstand einer höchstrichterlichen Entscheidung. Der BGH setzte sich in einer Entscheidung vom 27.10.2015 (Az. II ZR 296/14) mit der Pflicht des Aufsichtsrats, die Vergütung des Vorstandes in der „Krise“ der Gesellschaft herabzusetzen, auseinander.
In dem vom BGH entschiedenen Fall setzte der Aufsichtsrat auf Druck des vorläufigen Insolvenzverwalters durch Aufsichtsratsbeschluss die Vergütung aller Vorstandsmitglieder auf 2.500,00 € pro Monat herab. Dagegen klagte der ehemalige Finanzvorstand (Chief Financial Officer, CFO), der bereits vor dem Herabsetzungsbeschluss freigestellt worden war und dessen Jahresgehalt 188.000,00 € zzgl. einer variablen Vergütung in Höhe von 1,5 % des Betriebsergebnisses nach Steuern betragen hatte. Nachdem das LG Stuttgart die Klage im Wesentlichen abgewiesen hatte, gab das OLG Stuttgart dem ehemaligen Finanzvorstand vollumfänglich Recht. Das OLG Stuttgart begründet die Entscheidung damit, dass der Herabsetzungsbeschluss nicht von § 87 Abs. 2 Satz 1 AktG gedeckt sei. Nach dieser Vorschrift soll der Aufsichtsrat die Bezüge des Vorstands auf die angemessene Höhe herabsetzen, wenn sich die Lage der Gesellschaft so verschlechtert, dass die Weitergewährung der Bezüge für die Gesellschaft unbillig wäre. Das OLG Stuttgart war der Auffassung, dass diese Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Erstens habe der Aufsichtsrat keine eigene Ermessungsentscheidung getroffen. Dieser habe nur auf Druck des vorläufigen Insolvenzverwalters gehandelt und dessen Vorschlag, die Vorstandsgehälter auf monatlich 2.500,00 € herabzusetzen, ohne eigene Begründung eins zu eins übernommen. Und zweitens sei die Herabsetzung nicht „angemessen“, da der Betrag von 2.500,00 € das Gehalt der leitenden Angestellten der Gesellschaft unterschreite. Der BGH hob diese Entscheidung auf und wies die Sache zur erneuten Entscheidung an das OLG Stuttgart zurück. Der BGH stellte in dieser Entscheidung zum einen fest, dass etwaige Fehler bei der Ermessensausübung auf die Wirksamkeit des Herabsetzungsbeschlusses nicht durchschlügen. Zum anderen sei die Herabsetzung nicht der Höhe nach unangemessen. Es gäbe – so der BGH – keinen allgemeinen Grundsatz, dass das Gehalt der leitenden Angestellten die Untergrenze für die Herabsetzung der Vorstandsvergütung sei. Die Entscheidung, welcher Betrag angemessen sei, sei eine Einzelfallentscheidung, bei der als Bemessungsfaktoren insbesondere zu berücksichtigen seien, ob die Verschlechterung der Lage der Gesellschaft in die Zeit des Vorstandsmitgliedes falle und/oder das betreffende Vorstandsmitglied pflichtwidrig gehandelt habe. Es komme sogar eine Herabsetzung der Vergütung auf null in Betracht.
Hinweis für die Praxis:
Verschlechtert sich die (Vermögens-)Lage der Gesellschaft, ist der Aufsichtsrat verpflichtet, Beschluss darüber zu fassen, ob, und wenn ja in welcher Höhe die Bezüge der Vorstandsmitglieder herabzusetzen sind. Hat der Vorstand pflichtwidrig gehandelt oder fällt die Verschlechterung der Lage der Gesellschaft in die Zeit der Vorstandsverantwortung, sind die Vorstandsbezüge in aller Regel herabzusetzen. Zugleich hat der Aufsichtsrat, wenn er feststellt, dass der Vorstand möglicherweise pflichtwidrig gehandelt hat, nach der grundlegenden ARAG/Garmenbeck-Entscheidung des BGH etwaige Ansprüche der Gesellschaft gegen den Vorstand zu prüfen und je nach Sach- und Beweislage zu verfolgen. Aufsichtsratsmitgliedern ist dringend anzuraten, diese Entscheidungen, auch wenn sie in der „Krise“ der Gesellschaft nicht selten unter erheblichem Zeitdruck zu treffen sind, sowie die Gründe für die (Nicht-)Herabsetzung und/oder (Nicht-)Verfolgung von Ansprüchen aus Beweisgründen stets schriftlich zu dokumentieren. Kommt der Aufsichtsrat dieser Verpflichtung nicht nach, setzen sich seine Mitglieder erheblichen Haftungsrisiken aus.
Dr. Ulrich-Peter Kinzl, Dr. Lisa Ames, Daniela Rentz, Johannes Gugel, Aljoscha Schmidberger